Dienstag, 20. Mai 2008

Der Tod als psychologisches Ereignis

Wenn wir durch die Welt spazieren, ereilt uns immer wieder der Gedanke, dass diese unsere Welt, egal wie sehr wir sie auch kennen mögen, irgendwann auch ohne uns funktioniert. Unser Beitrag, die Anwesenheit, eine materielle Marginalität. Unser Wirken: man sieht es nicht ohne uns, Aufgaben erscheinen durch die Personen die sie ausführen, jede Aktion zieht ihren Wert aus der Person die sie tätigt. Der Bedarf an Handlungen ist ein Bedarf an Handelnden.

Was ich sagen will: es gibt keine Notwendigkeit die ein Mensch zu leisten im Stande ist, die nicht unmittelbar aus einem Bedarf für sich selbst oder seine Artgenossen heraus entsteht. Der Natur einen Vorteil verschaffen ist eine Unmöglichkeit: kein Einzelteil ist in der Lage, unabhängig von sich selbst, die Gesamtheit zu erfassen, noch weniger ihr Ziel zu erkennen. Eine Entscheidung kann also unmöglich in Abstand von uns selbst getroffen werden.

Jeder Handlung geht ein mehr oder weniger konkreter Prozess voraus: ein Erkennen des Handlungsbedarfs, eine Eingrenzung der Handlungsmöglichkeiten, eine Festlegung des Handlungszeitpunkts, etc. Und immer die gleiche Stoßrichtung: die Welt wirkt auf uns und wir wirken zurück. Wir handeln, aber nicht unabhängig oder selbstständig, sondern die Welt geschieht und wir geschehen mit. Alles bewegt sich und wir als Teil von allem bewegen uns mit. Es ist möglich dass wir uns nicht bewegen, aber es ist nicht möglich, dass alles sich nicht bewegt. Das heißt: die Natur kann uns erstarren lassen, aber nicht umgekehrt.

Wir agieren also innerhalb eines geschlossenen Systems. Die Natur kann auch ohne uns. Noch mehr: nicht wir handeln eigentlich, die Natur handelt (in) uns. Diese Bestimmung ist punktgenau, wir als Rädchen unter Rädchen. Nicht die Farbe oder Größe ist entscheidend, sondern die Frage ob man existiert oder nicht. Und: wer existiert, dreht sich mit. Das komplexe Seiende ist für uns nur an Einzelteilen erkennbar. Die Natur ist gleich die Erfindung des Rädchens.

Die Natur als autarkes, selbstständiges System verfügt über seine Einzelteile, das setzt ein Begreifen voraus. Wir können die Natur nicht begreifen, aber sie begreift uns. Wir als Teile eingebettet im Ganzen, irren durch alles Seiende und sortieren es in Schubladen und Büchern und Bibliotheken. Vor die Existenz zu treten und sie zu vergleichen ist uns unmöglich, denn ohne die Existenz sind wir nicht denkbar.

Man sagt: die Zeit verstreicht, mit tödlicher Sicherheit, von oberster Hand getrieben. Dieser allgegenwärtige Schleier des Vergänglichen, diese Wolke aus Nichts verfolgt uns zeitlebens. Alles Zyklische will schließlich eine Richtung haben! Diese Faszination für erkennbare Dinge, ein ewiger Anreiz für Trugschlüsse, wir verfolgen diese Möglichkeit mit Hingabe.

Wie die Welt wohl in 1000 Jahren aussieht? Eine ewige Wiederkehr des Anderen: die Erfolgsgeschichte der Existenz. Auf hunderten von Wegen versuchen wir uns diesem unbekannten Ziel zu nähern. Wir wissen nicht wonach wir suchen, aber wir dokumentieren immerhin jede Bewegung. Der ewige Verlauf, das unendliche Werden, hat kein Ziel und keinen Anfang, wie gerne wir das auch hätten.

Das Gespenst der Zeit ist eine Farce und wie der Witz es will, bleibt die Idee davon in unserem Kopf und somit der Natur verborgen. Nicht die Zeit verstreicht, die Materie verändert sich. In unserem Kopf könnte man auch gut vierhundert Jahre leben. Nicht in unserem Körper. Wir bemerken die Veränderung, schreiben ihr eine Richtung zu und zeichnen sie aus. An einem gewissen Punkt erlischt der Gedanke, verliert das Gedachte den Boden und die Materie kehrt zurück zur Materie: der Tod ist ein psychologisches Ereignis.