Dienstag, 10. Juni 2008

Kunst: wesentlich

Wir mögen und schätzen das Außergewöhnliche, denn logische Folgen, systematische Anordnungen bestimmen unseren Alltag. Und die Mathematik wirkt zurück auf ihre Erschaffer, auch weiter als eigentlich notwendig. Zählen und Rechnen gehört zum Menschen wie Atmen und Essen. Einem generellen Bedürfnis an Sicherheit geschuldet, zeichnen wir die Bahnen des Lebens wenn möglich genau vor, um planen zu können, um genau zu wissen was kommt, um auf Fragen Antworten geben zu können. Unser Leben dem Zufall zu überlassen ist somit eine gefährliche Sache. Der generelle Drang nach Anpassung nähert Gedanken und Verhalten an: ein Wunsch nach Normalität durchfließt uns, Unauffälligkeit ist Trumpf.

Rationalität ist gleich Vernunft. Wer würde nicht mehr haben wollen, wenn er könnte? Wer würde nicht die Möglichkeit nutzen voran zu kommen? Irrationalität scheint uns weniger unvernünftig als vielmehr dumm, oder schlimmer: unberechenbar. Was führt jemand im Schilde, der sich nicht sofort nach einem 50-Euro Schein bückt (ein wenig verhalten erst, aber dann zupackt und triumphierend davon stolziert?). Was soll man von Altruismus halten, welchen Vorteil genießt man durch Verzicht? Man weiß was gemeint ist: anders ist seltsam. Wer malt anstatt zu zeichnen fällt ein wenig auf, wer zappelt anstatt still zu sitzen ein wenig mehr. Allgemein: alternatives Verhalten ohne Begründung ist schwer zu verstehen. Aber Unverständliches kann eine attraktive Systematik haben.

Wir kennen ja Kunst: den Zauber von Abstraktion, die Faszination für Undurchschaubares: diese Alltagsmystik. Aber was begeistert dabei, was bezeichnet Kunst? Was genau suchen wir wenn wir abschweifen wollen, abschalten, runterkommen, ausbrechen? Das Bedürfnis dem Alltag zu entkommen ist verständlich. Nicht unbedingt auf extreme Art und Weise. Vielleicht nur kurz und ein wenig. Trotzdem bleibt das allgemeine Urbedürfnis nach Alltagsflucht. Wir nehmen das als gegeben.

Eine herkömmliche Sicht auf die Dinge ist normal, sie entspricht der Norm. Die Norm bestimmt den Alltag. Diesem Alltag entflieht man mittels Gedanken anderer: der Künstler. Diese zeichnen sich vor allem durch eines aus: der erfolgreichen Verdinglichung des Anderen. Die Kunst ist abnormal, eine andere Perspektive. Im geraden und konsequenten schlummern alternative Möglichkeiten, aber die Hetzjagd des Alltags lässt uns kein Auge dafür. An dieser Stelle ist eine Unterscheidung notwendig: zwischen Kunsthandwerk und Kunst.

Niemand will Qualität nicht anerkennen, weshalb auch. Übermäßige Begabungen verdienen Respekt, sie sind im Stande mehr zu schaffen, zu einem Übermaß an Leistung zu befähigen. An allen Ecken und Enden besteht Nachfrage für sie: hochbegabte Menschen, die genauer zeichnen, exakter und weitsichtiger planen können. Ihr Feld erstreckt sich von Skulpturen über Malereien bis hin zu monumentalen Bauwerken oder hervorragenden Kleidern. Von eigentlich überall bis an die Grenze zur Kunst. Ihre Klasse ergibt sich aus der Erschaffung von neuer Komplexität oder Exaktheit. Kunsthandwerk zieht ihre Besonderheit aus der Mischung von übermäßiger Fertigkeit und Norm: sie ist außergewöhnlich denn sie übertrifft gewohnte, durchschnittliche Fertigkeiten.

Kunst hingegen bedeutet, mittels des einen auf das andere anzuspielen. Mit Dingen auf Dinge hinzuweisen, Mauern, Grenzen und Zwischenräume frei zu legen. Die Jagd nach dem Anderen ist die Lust des Betrachters. Das Ziel, die Erahnung des Gemeinten. Ein fahler Beigeschmack lässt sich bemerken: der Genuss von Kunst ist etwas Exklusives.

Ein weiterer wichtiger Schritt ist getan: Kunstwerke wollen verstanden werden, sie unterliegen keinem wissenschaftlichen Objektivismus, nicht vorrangig die enthaltenen Möglichkeiten faszinieren. Die Sprache eines außergewöhnlichen Menschen zu lesen, quasi sein Geheimnis zu entschlüsseln, entfaltet Magie. Das Genie, selbst außerhalb der Zeit, zu entdecken und in die Gegenwart wirken zu lassen: Kunst lesen können.

Wie genau setzt man Gedanken um? Welches Wort macht die Kunst, welche Farbe, welcher Ton? Der Plan des Kunstwerks, befindet er sich fertig im Kopf des Künstlers, kann er vielleicht sogar fehlerhaft in die Welt übersetzt werden und so das Prädikat Kunst verlieren? Nein, denn nicht die Kunst an sich ist die Kunst, sondern der Künstler erschafft Kunst. Die Persönlichkeit des Künstlers ist entscheidend, er setzt eine Idee, ein Gefühl in Materie unter Einfluss des Zufalls um.

Die genaue Umsetzung einer Idee, ein völlig in Material übergegangener Gedanke liegt auf der Grenze zwischen Kunsthandwerk und Kunst. Die exakte Vorstellung einer Sache, die genaue Verdinglichung ihres Seins lässt keinen Platz für ein Gefühl. Das ist die dritte Annahme: Künstler sind Menschen die ihre Gefühle und Gedanken mit Materie unter Einfluss des Zufalls vermischen. Nicht nur die Vorstellung zeichnet sie aus, sondern ihre Art die Welt zu fühlen, in Bezug zu setzen und zu verwenden. Ideen können an Spielraum begrenzt werden. Die Reduzierung von Gedanken drängt sie ins Kunsthandwerk.

Das Fazit: Kunsthandwerker sind übermäßig begabte Menschen, ausgestattet mit praktischen Fähigkeiten (auch Gedanken-, Vorstellungskraft), in der Lage mehr oder besseres als andere zu leisten. Künstler hingegen sind Menschen mit einem irgendwie anders gearteten Blick auf die Welt, nicht umsonst häufig drogensüchtig oder mit abnormalen sexuellen Vorlieben ausgestattet Diese Andersartigkeit fasziniert die normale Bevölkerung, aber auch andere Künstler: man schätzt eine neue, bis dahin verborgene Sicht auf Dinge.

2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Schöne und prägnante Definition in der Zusammenfassung. Trifft ziemlich genau meinen persönlichen Künstlerbegriff.

Schreibst du dir diese Sachen einfach so von der Seele, oder sinds (Auszüge aus) Arbeiten?

Unknown hat gesagt…

Fuck art, let's dance.